Training trotz chronischer Nervenschmerzen

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Du bist gesund? Ausgezeichnet. Dann ist es oft einfach, Sport zu treiben. Deine größten Herausforderungen sind, deinen „inneren Schweinehund“ zu überwinden und Zeit zu finden.

Bei Krankheit solltest du gar nicht trainieren oder wenn überhaupt, dann nur leicht. Dein Körper benötigt Ruhe und Regeneration.

Aber wie sieht es mit chronischen Krankheiten aus? Was kannst du tun, wenn du zum Beispiel an täglichen Nervenschmerzen leidest?

Lies meine Geschichte dazu.

Alles begann ganz harmlos

Wir waren in unseren Sommerferien auf einer mehrtägigen Wanderung im alpinen Gebirge unterwegs. Täglich liefen wir mehrere Stunden, Kilometer und Höhenmeter. Es war anstrengend, teilweise sehr warm, aber doch wunderschön und faszinierend.

Gegen Ende unserer Tour bekam ich leichte Kopfschmerzen. Da auch das Wetter umschlagen sollte, entschieden wir uns heimzufahren.

Meine Kopfschmerzen wollten nicht verschwinden. Nachdem ich einem Arzt weitere Symptome geschildert hatte, schickte er mich sofort ins Krankenhaus. Diagnose: Gürtelrose.

Ich kannte diese Krankheit bis dahin nur als harmlosen Ausschlag im Rumpfbereich. Ich lernte nun dazu, dass es in seltenen Fällen auch andere Körperteile betreffen kann. Meine Gürtelrose hatte den Kopf befallen. Dort ist es besonders gefährlich, da das Herpesvirus Augen und Ohren angreifen kann. Im schlimmsten Fall kann man erblinden oder taub werden.

Ich hatte Glück. Mit einer ausgezeichneten medizinischen Betreuung konnte das Schlimmste verhindert werden. Nach einer Woche Aufenthalt im Krankenhaus konnte ich wieder heim. Meiner Rückkehr in den Alltag stand nichts mehr im Weg. Ich plante bereits die ersten leichten Trainingseinheiten.

Aber es kam anders

Das Heimtückische einer Gürtelrose ist die mögliche Folgekrankheit: Post Zoster Neuralgie. Das Gürtelrose-Virus (Herpesviren) greift dann die Nerven an und beschädigt sie. Infolgedessen kommt es zu starken Nervenschmerzen.

Damals war ich überzeugt: Mich wird es nicht treffen.

Aber leider kam es anders. Innerhalb weniger Tage hatte ich unerträgliche Schmerzen im Kopf. Schubweise im Minutentakt. Schmerzmittel halfen kaum. Ich litt unglaublich. Nervenschmerzen gehören zu den stärksten Schmerzen, die es überhaupt gibt. 

Schock, Unglauben und Resignation

An ein normales Leben war nicht mehr zu denken. An Training oder sportliche Aktivitäten schon gar nicht. Ich kämpfte täglich mit unerträglichen Schmerzen. Den ganzen Tag lag ich praktisch nur auf dem Sofa. Ich war frustriert und depressiv.

Neben den körperlichen Schmerzen kam noch die mentale Belastung dazu. Die Heilung von Nervenschmerzen ist in der Medizin weitestgehend ungeklärt. Sowohl mein Hausarzt als auch ein Schmerztherapeut teilten mir mit, dass ich damit rechnen muss, diese Nervenschmerzen ein ganzes Leben lang aushalten zu müssen.

Ich war am Boden zerstört. Mit einer solchen Diagnose und den täglichen Schmerzen fragte ich mich natürlich: Ist mein Leben überhaupt noch lebenswert? Und warum trifft es ausgerechnet mich?

Verarbeitung und erste Hoffnung

Es war ein zäher Kampf – physisch und psychisch.

Nach zwei bis drei Monaten reduzierten sich meine Nervenschmerzen im Kopf so weit, dass ich immerhin erste kleine Spaziergänge unternehmen konnte. Ich schöpfte Hoffnung.

Allerdings musste ich sowohl Sonne als auch Wind meiden. Jeder kleiner Windstoß bewegte meine Haare und triggerte einen Schmerzanfall. Jede Berührung des Kopfes war äußerst schmerzhaft. Auch eine Mütze aufzusetzen, war fast unmöglich.

Aber immerhin konnte ich mich endlich wieder bewegen und frische Luft genießen.

Neuorientierung und Neuanfang

Mein Leben hatte sich komplett verändert. Ich musste entscheiden, ob ich in Selbstmitleid versinke oder ob ich mit der neuen Lebenssituation lerne umzugehen. Ich entschied mich für Letzteres.

Das Hauptziel und der Hauptinhalt meines Lebens bestanden jetzt darin, mit den Schmerzen leben zu lernen. Und alles zu unternehmen, um gesund zu werden. Das war nicht immer einfach und eine riesige mentale Herausforderung.

Ich analysierte akribisch, welche äußeren Umstände Schmerzanfälle triggerten und was meinem Kopf gut tat. Ich begann auch wieder Sport zu treiben. Auch hier galt es nun herauszufinden, was für mich möglich war und was nicht.

Neue sportliche Ziele

An Joggen war in den ersten Monaten überhaupt nicht zu denken. Die Erschütterungen riefen starke Schmerzen hervor. Auch größere Radtouren waren schwierig, da ich weder einen Helm aufsetzen konnte noch den Wind vertrug. Beim Schwimmen ertrug ich es kaum, wenn mein Kopf mit dem Wasser in Kontakt kam.

Zum Glück wohne ich mitten in den Bergen. Mein Hausberg war schon früher mein Trainingsziel. Die 730 Höhenmeter und 3,4 km schaffte ich an guten Tagen unter einer Stunde. Jetzt – mit meinen Nervenschmerzen – war mein erstes Ziel, diese Strecke überhaupt wieder zu bewältigen.

Neue Sportliche Ziele beim Training trotz chronischer Nervenschmerzen

Ich werde nie vergessen, als ich das erste Mal wieder oben stand. Ich hatte fast zwei Stunden für diese Strecke benötigt. Aber das war völlig egal. Hauptsache, ich hatte es überhaupt geschafft. Es war ein unbeschreibliches Glücksgefühl. 

Angepasster Trainingsplan

In meinen gesunden Zeiten habe ich mich sehr abwechslungsreich bewegt: ich war in den Bergen zum Wandern unterwegs, ich ging joggen, schwimmen, klettern und Radfahren. Und im Winter war ich auf Skitouren, zum Langlaufen und Schneeschuhlaufen.

Mit meinen chronischen Nervenschmerzen war alles anders. Ich musste komplett umdenken. Plötzlich musste ich viel mehr Faktoren berücksichtigen. Ging zu viel Wind? Schien die Sonne zu heiß? Zu welcher Tageszeit waren die Schmerzen am erträglichsten? Auch musste ich darauf achten, dass ich meinen Körper nicht „überhitzte“. Sobald mein Kopf zu heiß wurde, fingen die Nerven an zu rebellieren.

Aber ich spürte, dass die Bewegung in der Natur mir sehr guttat. Vor allem wurde ich für kurze Zeit von meinen Schmerzen abgelenkt.

Ganz allmählich fand ich ein Trainingspensum, welches zu meinem Schmerzalltag passte. Und reichliche zwei Jahre nach dem Beginn dieser chronischen Schmerzen habe ich das erste Mal einen Hausberg wieder unter einer Stunde bezwungen. Was für ein persönlicher Erfolg! Was für eine Errungenschaft.

Falls du in einer ähnlichen Situation bist

Die letzten beiden Jahre waren eine echte Herausforderung für mich. Mental, körperlich und sportlich. Falls du auch zu den Menschen gehörst, die chronische Schmerzen oder ähnliche Belastungen haben, dann findest du hier einige Anregungen basierend auf meinen Erfahrungen: 

  • Akzeptiere deine Situation und kämpfe nicht dagegen an! Das klingt so leicht, ist es aber nicht. Eine sehr große mentale Herausforderung.
  • Lass dir helfen. Suche am besten Menschen und Sportler, die in einer ähnlichen Situation sind. Nichts tut deiner Seele besser als jemand, der genau weiß, wovon du sprichst. Aber achte darauf, dass diese Person positiv und motivierend auf dich wirkt.
  • Höre jetzt besonders auf deine Körper. Spüre in dich hinein. Erkenne ganz genau, was dir guttut und was nicht, welches Training dir hilft und welches nicht.
  • Suche dir neue Trainingspartner. Oder finde neue gemeinsame Trainingsmöglichkeiten mit deinen früheren Partnern. (Ich erklimme meinen Hausberg seit Jahren regelmäßig mit einer Freundin. Als ich noch gesund war, sind wir gemeinsam gestartet. Jetzt beginne ich einige Zeit vorher mit dem Aufstieg. Wir treffen uns dann spätestens auf dem Gipfel und steigen gemeinsam ab.)
  • Orientiere dich nie an deinen früheren sportlichen Zielen. Setze dir neue motivierende und realistische Ziele – entsprechend deiner neuen Lebenssituation. Die neuen Ziele zu erreichen, ist ein Booster für deine Gesundheit.
  • Du musst niemanden (mehr) etwas beweisen. Nur dir – trotz oder besser, mit deinen Schmerzen.
  • Nutze die Natur, um dich mental zu stärken. Wälder, Berge, Wiesen – die gesamte Natur ist eine unbeschreibliche Energiequelle. Sei achtsam unterwegs.

Fazit und positive Nebenwirkungen

Mit meinen Zeilen möchte ich dich ermuntern, dein Leben und deinen Sport zu genießen, egal welche Schwierigkeiten du gerade bewältigen musst. Es läuft leider im Leben nicht immer nach Wunsch. Unser Leben ist eine Herausforderung, die es zu bewältigen gibt.

Jede Lebenskrise hat auch etwas Positives. Inzwischen sind es fast drei Jahre, die ich mit meinen Nervenschmerzen lebe. Es gibt Tage, da geht es mir schlechter und es gibt Tage, da geht es mir recht gut. Letztere machen mir Hoffnung und ich gebe den Glauben nicht auf, eines Tages wieder ganz gesund zu werden.

Seit meiner Krankheit bin ich viel gelassener. Ich bin ruhiger und nehme viele Dinge nicht mehr so ernst. Früher waren meine Trainingsziele oft verbissen. Jetzt kann ich mich über die kleinsten Fortschritte freuen. Und wenn es mal nicht so klappt, ist es auch nicht so schlimm.

Alles Liebe

Deine Grit


Über die Autorin dieses Artikels

Grit Schönherr Autorinnen-Profil Fitnesswelt

Grit Schönherr war als Kind Leistungsschwimmerin. Später galt ihre Leidenschaft dem Bergsteigen und Klettern. Um ihre Kondition zu trainieren, ist sie regelmäßig gejoggt und hat an Bergläufen teilgenommen. Auch heute ist sie noch am liebsten in den Bergen unterwegs.

Grit ist inzwischen überzeugt, dass Glück und (sportlicher) Erfolg im Kopf beginnt. Auf ihrem Blog „Mentale Stärke und Gelassenheit“ schreibt sie über Mentaltraining, Herausforderungen im Leben, Selbstvertrauen und besseren Umgang mit Stress.