Manchmal denk ich mir: Wenn Leistung wirklich alles wäre, müsste mein Rennrad längst einen Orden tragen. Stattdessen guckt es mich jeden Morgen vorwurfsvoll an wie ein Coach mit zu viel Espresso im Blut: „Na, heute schon getreten?“
Aber fangen wir vorn an.
Oder besser gesagt: auf der Rolle. Wortwörtlich. Ich messe meine Leistung nämlich nicht nur draußen am Berg, sondern auch drinnen – im Büro. Zwischen Trampolin, Computer und dieser einen Pflanze, die nach dem dritten FTP-Test endgültig das Zeitliche gesegnet hat.
Und warum das Ganze?
Ich trainiere für den Ötztaler
Der Mythos. Der Klassiker. 227 Kilometer, über 5.500 Höhenmeter und vier Pässe, die einem alles abverlangen. Wer da nicht weiß, wo seine Grenzen liegen – oder sie besser: verschieben will – der kommt nicht weit.
Und weil ich meine Leistung nicht dem Zufall überlassen will, habe ich mir extra Wattpedale gegönnt. Ich will nicht nur auf der Rolle, sondern auch draußen ganz genau wissen, was Sache ist. Keine Schätzung, kein Bauchgefühl – harte Zahlen.
Warum überhaupt nach Watt trainieren?
Bevor man sich in Zonen, Kurven und Trainingsplänen verliert, lohnt sich eine einfache Frage:
Warum willst du eigentlich nach Watt trainieren?
Wenn du gemütlich zur Eisdiele rollst oder einfach den Kopf freibekommen willst, brauchst du kein Powermeter. Wenn du aber gezielt besser werden willst, dich auf ein Event vorbereitest oder dein eigenes Limit verschieben willst – dann ergibt die Leistungsmessung plötzlich richtig viel Sinn.
Denn: Watt sind objektiv.
Diese Werte dir direkt, was du wirklich trittst – unabhängig vom Wind, vom Puls oder von deiner Stimmung. Und sie zeigen dir auch schonungslos, wenn du an einem Tag einfach nicht performst. Und das ist ehrlich gesagt manchmal auch ganz gut so.
Leistung drinnen vs. draußen – zwei Welten
Was viele unterschätzen: Leistung ist nicht gleich Leistung.
Drinnen auf der Rolle kannst du deine Wattzahl konstant halten wie ein Uhrwerk.
Da gibt’s keine Ampeln, keine Abfahrten, keine Autos oder Windschatten-Geschichten. Du fährst deinen Plan – Punkt. Und das macht Indoor-Einheiten extrem effektiv, weil du keine unfreiwilligen Pausen hast und deine Intervalle sauber durchziehen kannst.

Draußen?
Da kommt alles dazwischen. Ein Berg, ein Windstoß, ein Traktor, eine Katze, eine rote Ampel oder ein Auto, das meint, dich mal eben in den Graben hupen zu müssen. Du kannst draußen Leistung trainieren – zum Beispiel bei Intervallen oder an einem langen, gleichmäßigen Anstieg – aber du brauchst Konzentration, Toleranz und manchmal einfach einen guten Tag.
Mein Tipp:
Mach den FTP-Test immer drinnen auf der Rolle.
Da hast du Ruhe, Kontrolle und Vergleichbarkeit. Und du kannst dich wirklich auspowern, ohne dass dir eine Baustelle den Rhythmus zerschießt.
Was ist FTP überhaupt?
FTP steht für Functional Threshold Power.
Das ist die maximale durchschnittliche Leistung (in Watt), die du über eine Stunde lang treten kannst, ohne völlig zu kollabieren. Meist misst man das über einen 20-Minuten-Test, nimmt davon 95 %, und hat dann seinen Wert.
Beispiel:
20 Minuten mit 200 Watt → FTP = 190 Watt.
Die Trainingszonen im Überblick
Deine Trainingszonen basieren auf dem FTP-Wert und steuern deine Belastung – ganz gezielt:
Trainingszone | Intensität | % vom FTP | Ziel |
---|---|---|---|
Zone 1 – Erholung | ganz locker | <55 % | Regeneration |
Zone 2 – GA1 | locker | 56–75 % | Grundlagenausdauer |
Zone 3 – GA2 | zügig | 76–90 % | Ausdauer, Fettstoffwechsel |
Zone 4 – Schwelle | unangenehm konstant | 91–105 % | Laktatschwelle, Tempohaltung |
Zone 5 – VO2max | kurz, intensiv | 106–120 % | Sauerstoffaufnahme, Belastungstoleranz |
Zone 6 – Anaerob | brutal, kurz | 121–150 % | Explosivität, Punch |
Zone 7 – Sprint | maximal | >150 % | Schnellkraft, Antritt |
Was ist „gute“ Leistung?
Damit du ein Gefühl bekommst, wo du stehst, hier ein kleiner Vergleich:
Fahrer:innen-Typ | FTP (Watt) | Watt/kg (bei 65 kg) |
---|---|---|
Freizeitfahrer:in | 100–160 | 1,5–2,5 |
Hobbysportler:in | 160–230 | 2,5–3,5 |
Ambitionierte:r Radsportler:in | 230–280 | 3,5–4,5 |
Amateur-Rennfahrer:in | 280–330 | 4,5–5,2 |
Profi (WorldTour) | 350–430 | 5,5–6,5+ |
Ich bin aktuell bei 176 Watt FTP bei 66,3 kg – das sind 2,66 W/kg.
Mein letzter Test ein paar Monate vorher war 153 Watt, also ein Plus von 23 Watt. Klingt vielleicht wenig, aber: Das fühlt man. Jeder einzelnen Watt.

Alternativen zur Wattmessung: Herzfrequenztraining
Du brauchst kein Powermeter, um effektiv zu trainieren.
Auch Herzfrequenztraining ist eine bewährte Methode – besonders für Einsteiger:innen oder alle, die ein gutes Körpergefühl haben (oder entwickeln wollen).
Watt (Leistung) | Puls (Herzfrequenz) |
---|---|
objektiv & sofort messbar | reagiert verzögert (ca. 30–60 Sek) |
wetterunabhängig | wetter-, stress- & tagesformabhängig |
ideal für strukturierte Einheiten | gut für längere GA1-Fahrten |
teuer (Powermeter nötig) | günstig (Brustgurt reicht) |
So bestimmst du deinen Pulsbereich:
→ Faustformel: 220 – Lebensalter = maximale Herzfrequenz
→ GA1 liegt bei etwa 60–75 % dieser MaxHF
→ Beispiel: MaxHF = 180 → GA1 = 108–135 bpm
Mein Fazit
Leistung ist nicht alles – aber wenn du weißt, was du tust, kann sie dich verdammt weit bringen. Für mich heißt das: Wattpedale ans Rad, Trainingsplan aufs Handy, Kopf runter, treten.
Nicht jeden Tag. Nicht immer perfekt. Aber regelmäßig. Und mit dem Blick auf mein Ziel: den Ötztaler schaffen – mit Power in den Beinen und einem Grinsen im Gesicht.

Über die Autorin dieses Artikels
Lisa ist eine echte Genussbikerin. Sie unterstützt vor allem Radsportanfänger dabei, sich zu verbessern und Probleme zu eliminieren.
Sie fährt selbst mehrere tausend Kilometer auf dem Rad und startet auch bei regionalen Wettkämpfen. Lisa ist hauptsächlich mit dem Mountainbike, aber auch dem Rennrad unterwegs.
Neben ihrer Tätigkeit als Redakteurin für Radsport im Fitnesswelt-Team schreibt Lisa auch auf ihrem Blog LisasBunteWelt über gesunde Ernährung und Radsport.